Erfahrungsberichte
Erfahrungsbericht Boris°
25. Februar 2014
Achtsamkeit ist nicht nur für Menschen mit psychischen Problemen ein Thema.
Durch die Ruhelosigkeit und die Informationsflut der wir heutzutage ausgesetzt sind, haben wir ein Problem mit dem Innehalten und der Selbstreflexion. Wir sind nur mehr selten ganz bei uns.
Als Mensch mit einem psychischen Leiden möchte ich heute beschreiben was Achtsamkeit für mich bedeutet und wie ich mit ihr umgehe.
Zunächst ist klar, dass Achtsamkeit das Fundament für das bewusste Wahrnehmen ist. Unsere geistig-seelische Tätigkeit ist ein Hantieren mit diesen Wahrnehmungen. Sind wir nicht achtsam für uns und in der Kommunikation mit dem Mitmenschen, so verkümmern diese Wahrnehmungen und unsere Seele und unserer Geist verarmt.
Als psychisch Kranker bin ich besonders dazu aufgefordert, achtsam mit mir und dem Mitmenschen umzugehen. Es ist ja gerade die Wahrnehmung die durch die Krankheit mehr oder weniger beeinträchtigt ist.
Im schlimmsten Fall ist die Wahrnehmung eine Halluzination; ich nehme also etwas wahr, das gar nicht da ist.
Ein weiteres Symtom ist der gestörte Filter für die vielen Wahrnehmungen, die auf uns einströmen. Ein gesunder Mensch hat kein Problem das für ihn Wichtige herauszufiltern und bleibt handlungsfähig.
Auch ist die bei mir vorhandene hohe Verletzlichkeit ein Symtom der Krankheit, das eine enorme seelische Belastung darstellt.
Zum Glück ist die Medizin nicht stehengeblieben und wir haben heute sehr gute Medikamente, die diese Beeinträchtigungen zum Großteil ausgleichen. Durch diese Medikamente bin ich nach langer Zeit schwerster Krankheitsschübe seit 10 Jahren stabil, sodass ich jetzt ein fast normales Leben, mit eigener Familie und Berufstätigkeit leben kann.
Wenn ich an die Zeit der schweren Schübe zurückdenke, so kann ich aus heutiger Sicht sagen, dass bei mir damals die Achtsamkeit und damit die Wahrnehmung nicht mehr funktionierten.
Deshalb kann ich heute die wiedergewonnene Fähigkeit, achtsam sein zu können, als unschätzbaren Wert erkennen. Viele Gesunde wissen nicht über welchen Schatz sie mit ihrer gesunden Wahrnehmung verfügen.
Es ist also heutzutage schon für einen Gesunden schwierig, achtsam zu bleiben. Wie viel schwerer ist es daher erst für einen psychisch Kranken?
Ich habe für meine Gesundung auch einiges in meinem Leben verändern müssen. So habe ich gemerkt, dass ich wegen des gestörten Filters die einströmenden Informationen reduzieren muss. So ist mir beim Fernsehen aufgefallen, dass alle 2-3 Sekunden ein neues Bild erscheint und ich dadurch überwältigt werde und fremdbestimmt und unfrei werde. So habe ich mich entschlossen nicht mehr fernzusehen.
Auch habe ich das tägliche Zeitunglesen aufgehört. Ich lese nur mehr ausgesuchte Bücher.
Vor kurzem war zu lesen, dass der geistige Weg den jeder Mensch im Laufe seines Lebens gehen muss um glücklich zu sein, von der Selbsterkenntnis über die Selbstbeherrschung zur Selbstverwirklichung gehen muss. Dies ist nur möglich, wenn wir achtsam gegenüber uns selbst sind.
Ich wünsche jedem Menschen, dass er diesen Weg gehen kann.
Ich danke Ihnen für ihre Achtsamkeit.
°Name von ‹omnibus› geändert